Erwartezimmer, Metalldrachen und das Rad des Schicksals

Bei der Organisation unseres Erwarteraums/ der Erwarte-Zither zum Diskursfestival ist mir aufgefallen wie viel unserer anfänglichen Ideen, z.B. Schnüre durch den Raum zu ziehen oder auf Töpfe und Backbleche zu schlagen doch mit dem klanglichen Bauen und Erschaffen von etwas zutun hatten. Bei unserer Planung fielen Begriffe wie Mußegefängnis, Gegenwärtigkeit und Präsenz-Sein. Dadurch habe ich mich gefragt, ob eins der Endprodukte unseres Projekts neben anderen Mußeerfahrungen vielleicht eine Klanginstallation oder ein Klangobjekt wird. Denn die Mußearrgangements, die wir uns für das Diskursfestival ausgedacht haben, scheinen solchen Kunstformen doch stark zu ähneln. Dadurch habe ich mich wiederum gefragt, ob ich schonmal mit Klangobjekten oder Installationen konfrontiert war. Dabei musste ich vor allem an ein Objekt denken, dass ich vor Jahren auf einer Ausstellung gesehen habe. Es war ein riesiges Metallkonstrukt das durch sein lautes Krächzen, Fauchen und Quitschen an ein überirdisches Wesen erinnerte, vielleicht an eine Art Drachen, und sich unvorhersehbar drehte und wendete. Auch wenn ich leider nicht mehr weis, was der Titel dieses Objekts war oder ob es überhaupt einen Titel hatte, ist mir der Name des Künstlers doch nicht entfallen: Jean Tinguely.

Also habe ich etwas recherchiert und habe so erfahren, dass das Konstrukt, dass mir damals begegnete, nicht das einzige seiner Art ist. Jean Tinguely (1925-1991) hat noch weitere kinetische, maschinenartige Skulpturen gebaut, auch wenn er vordergründig durch seine gemeinsamen Projekte mit der Künstlerin Niki de Saint Phalle bekannt ist. Um 1954 bestanden seine beweglichen Skulpturen noch aus zittrigen Blech und Draht Bestandteilen und waren bunt bemalt, später, um 1955 baute er dann Maschinen, die auf Papier zeichnen konnten. Viele der Skulpturen bestanden aus Schrott, z.B. Auto-, Motorrad- und anderen Blechteilen. 1960 erhielt eine seiner Maschinen, die im Museum of Modern Art in New York ausgestellt war dann besondere Aufmerksamkeit, da sie autodesktruktiv war und sich selbst zerstörte. Das sollte laut Jean Tinguely eine Kritik an der Gleichförmigkeit industrieller Vorgänge und der Produktion von unnützen Dingen sein. Ich finde diese Haltung lässt sich auch auf unsere Mußeuntersuchungen beziehen. Auch seine anderen Skulpturen wirken selbst-performativ, sie lösen wie in einer Kettenreaktion Klänge aus, rollen oder zupfen an ihren eigenen Bestandteilen und beschäftigen sich mit dem Thema der Vergänglichkeit. 1977 begann er dann auch Wasser im Zusammenspiel mit seinen Skulpturen zu verwenden, später verarbeitete er dann auch Knochen, Hörner und Schädel sowie Licht mit in seinen Arbeiten. Interessant, dass sich unsere Planung zum Erwarteraum ebenso stark auf verwendbare Materialien bezogen hat, die sich für Musik- und Mußearrgangements eignen könnten und das so viele von den Dingen, die uns eingefallen sind, Töpfe, Löffel, Pfannen, Backbleche usw. ebenso aus Metall sind.

Die Zeichnung oben von Jean Tinguely aus dem Jahr 1986 ist der Entwurf einer Skulptur und trägt den Titel Brunnen mit dem Rad des Schicksals. Hier ist ein Bild der fertiggestellten Skulptur:

Ich bin nicht voller Erwartungen aber voller Vorfreude auf unser Erwartezimmer morgen, dankbar das ich durch unser Projekt auf die Skulpturen von Jean Tinguely gestoßen bin und hoffe wir können ebenso das Rad des Schicksals einfach rollen lassen.

In diesem Video bekommt man einmal einen groben Eindruck der Klänge, die Jean Tinguelys Skulpturen erzeugen:

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