Über das sich zur Muße verhelfen
Eggi mein, bester Freund, hat mir die letzte Woche geholfen mein Wohnmobil fit für die Fahrt zu meinen Eltern zu machen. Dabei ist mir etwas spannendes aufgefallen.
Da ich die letzten Monate zum Großteil alleine an meinem Wohnmobil gearbeitet hatte, war der Kontrast stark spürbar konstant eine zweite, sehr motivierte Person, dabei zu haben.
Viele der arbeiten an dem Wohnmobil erfordern einiges an Geduld. Da sie dieses Maß an Geduld erfordern und ich oft eher ungeduldig bin konnte ich sehr oft beobachten, dass ich diese Arbeiten nur verrichten kann, wenn ich mich auf dieses Tempo einlasse. In meiner Unruhe bleibend weiter zu machen war schnell keine Option, da ich merkte, dass ich die Arbeiten sonst nicht ordentlich verrichten konnte, was bedeutete, dass ich die selbe Arbeit bald wieder von vorne beginnen müsste.
Doch ganz alleine zu arbeiten, wenn doch eigentlich mein Ziel war möglichst bald fertig zu sein, frustierte mich dann doch sehr schnell. Gerade dann, wenn ich Zeitpläne aufstellte und diese dann um ein vielfaches überschritt. Und wenn dann jede Arbeit so viel Geduld erfordert, könnt ihr euch vorstellen, welchen Kraftaufwand es manchmal bedeutete, alles in Ruhe zu erledigen.
Mir fehlte das Vertrauen und die Gelassenheit. Und ja, wenn ich lang genug eine Arbeit verrichtete, die viel Zeit bedurfte, stellte sich auch nach einer gewissen Zeit ein Gleichmut ein, der die arbeit erleichterte und den Geist entspannte.
Zu zweit merkte ich schnell, wie dieser Gleichmut den Großteil der Zeit bei mir blieb. Und auch Motivation und Freude.
Ich habe eine Beobachtung gemacht. Wenn ich mich lang genug auf eine Handlung einlasse und dem Tempo folge, das nötig ist um sorgfältig zu arbeiten ist mir ein Mußeähnlicher Zustand garantiert. Auch konnte ich beobachten, dass diese Mußeähnlichen Zustände unterschiedlicher Natur sein können. Gleichmut gemischt mit aufgewühltheit und einem viel denkenden, eher grübelnden Geist. Gleichmut mit einem leeren Geist und Entspannung. Hier könnte ich noch ewig viele Nuancen auflisten, doch diese zwei Pole waren wohl die am meisten vordergründigen. Letzteres würde ich eher nahe der Muße verorten, ersteres bei der Achtsamkeit, die ein wie Gimmel schreibt eine “radikale Akzeptanz dessen, was ist” ist und einem daraus folgendem meditativen Zustand. 1
Muße wird meistens mit einem positivem Gefühlszustand assoziiert 2…. außerdem ist Muße nicht zielgerichtet und wie auch der Flow dadurch ausgezeichnet, dass die Tätigkeit in sich selbst erfüllend ist. Um hier vielleicht etwas trennschärfer zu werden habe ich mich in naher Vergangenheit mit dem Flow-Begriff nach Mihály Csíkszentmihályi auseinandergesetzt. Er nennt 9 Kriterien für Flow.
Im Gegensatz zum Mußebegriff wird hier also ein sehr konkreter Zustand beschrieben, der klar von anderen Zuständen abgegegrenzt werden kann. Sicher hilft auch die Auseinandersetzung mit den Kriterien für Flow, den Mußebegriff besser einordnen zu können. Viele Zustände, die ich der Muße zugeordnet hätte, würde ich jetzt zum Beispiel viel eher als Flow bezeichnen. Und was ich für Flow gehalten habe ist vielleicht eher Muße.
Deshalb hier für euch, frisch gezapft aus meinem Informationsflow der Internetrecherchen die 9 Kriterein des Flow nach Mihály Csíkszentmihályi:
- Klare Ziele
- “…Csíkszentmihályi versteht damit nicht nur das Endziel einer Tätigkeit, sondern das augenblickliche Ziel aller Sinne und der Aufmerksamkeit des ganzen Menschen. Dabei werden Endziele nicht ausgeklammert, aber sie stehen erst dann im Mittelpunkt, wenn sie erreicht werden und nicht schon vorher”3
- Rückmeldung kommt sofort
- Ein Feedback zu erhalten ist notwendig um ein Erfolgserlebnis zu spüren, am besten solle eine “Live-Beziehung oder -Bindung zum Objekt.”4 bestehen
- Handlungsmöglichkeiten (Herausforderungen) und Fähigkeiten entsprechen einander
- Entsprechen die Fähigkeiten nicht der Herausforderung, ist man zum Beispiel unterfordert, so entsteht Langeweile. Ist man hingegen überfordert kommt Angst auf. Es gilt also den Bereich zwischen Überforderung und Unterforderung zu finden um Flow zu erleben. Franz Plochberger sagt hier in seinem Text “Kriterien für das Flowerlebnis” folgendes:
- “Der Flow, das Flow-Erlebnis oder das Erlebnis von Freude am Schaffen tritt ein, wenn sowohl die Handlungsanforderungen als auch das Handlungspotential hoch sind und beide in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen”5
- Die Konzentration steigt
- “Nach Beschreibungen von Klienten von MC entsteht diese Konzentration durch Einbeziehung aller Wahrnehmungen und wird als ein sich „völlig eins fühlen“ verstanden, egal was man tut, ein Dichter – mit seinen Worten, ein Bergsteiger – mit dem Felsen, ein Rennfahrer – mit seinem Auto. Alle Reaktionen laufen automatisch ab, es wird nicht von Fall zu Fall gezielt nur der Verstand eingeschaltet”6
- Die Gegenwart zählt
- Die Vergangenheit und Zukunft und alltägliche Sorgen rücken in den Hintergrund.
- Beherrschung der Situation
- Sein bestes zu geben und zu vertrauen, dass dies genügt. Die Situation zu überblicken, einen klaren Kopf zu haben, geschehen zu lassen, abzuwarten, “”unüberlegt” (in positivem Sinne)”7 richtig zu reagieren
- Das Zeitgefühl ändert sich
- Im Flow vergeht sie meist schneller, in tiefer Konzentration kann sie auch langsamer vergehen
- Aussetzen des Ich-Bewusstseins
- Im Mittelpunkt steht die Aufgabe, nicht das Ich. Somit rückt alles andere in den Hintergund und man ist in der Lage über sich hinauszuwachsen, obwohl man voll und ganz bei der Aufgabenstellung bleibt.8
- höheres Selbstbewusstsein am Ende des Flows
- Ein anhaltendes erhöhtes Selbstwertgefühl.
Das schöne am zu zweit Arbeiten ist, dass man sich gegenseitig mitzieht. Wenn einer gerade etwas frustiert ist oder keine Lust hat und die andere Person trotzdem schon mal arbeitet oder weiter macht, dann ist es viel leichter selbst wieder motiviert zu sein. Und nicht nur das, gemeinsam entsteht eine geballte Energie und viel mehr Planungs und Arbeitskraft ist verfügbar. Es wird gemeinsam laut überlegt beziehungsweise besprochen, wie etwas gemacht werden könnte oder was als nächstes ansteht und dadurch tauchen auch die Lösungen viel schneller auf, da man alles laut ausspricht and abwägt. Die Vor- und Nachteile durchgeht. Steht man auf einer Leiter und hat etwas unten liegen gelassen, kann man den anderen fragen, ob er es einem reicht. Viele Dinge sind um ein vielfaches entspannter und flüssiger.
Ich denke abschließend kann ich sagen, dass die Momente die Eggi und ich gemeinsam erlebten und zu einem flüssigen Arbeiten verhalfen nicht Mußemomente sind, sondern Flow. Alle neun Kriterien treffen voll zu. Und obendrauf kommt, dass die direkte Rückmeldung nicht nur vom Objekt kommt, das in diesem Fall zum Beispiel repariert ist, sondern auch in der Interaktion mit Eggi. Wir haken die Punkte auf der To-Do Liste ab, freuen uns, der Selbstwert steigt und wir verschmelzen voll und ganz mit dem was wir tun und sind konzentriert. Alles geschieht einfach nur noch, ohne groß zu überlegen. Die Ziele sind klar gesetzt, doch wir fokussieren uns zunächst auf den nächsten Schritt. Wie Beppo, der Straßenkehrer aus Michael Endes Roman Momo. Wenn etwas dann nicht funktioniert stört es uns wenig, da wir schon so im Fluss sind, dass wir einfach etwas anderes ausprobieren.
Diese Verstärkung von Flow habe ich sehr oft beim gemeinsamen Arbeiten und auch beim gemeinsamen Musizieren erlebt. Als würden die Gehirne zu einem verschmelzen und das/die Gegenüber(s) wissen ganz selbstverständlich was man vor hat oder denken an das Selbe, alles ergänzt sich.
Beim musizieren ist es zum Beispiel der Moment beim Improvisieren mit jemandem, mit der/dem es einfach super harmoniert und man genau weiß, was die Person als nächstes tun wird und mit einsteigt. Beim arbeiten, die Hand die plötzlich etwas anreicht, noch bevor man selbst auf die Idee kam danach zu sehen.
Literatur
1 Jochen Gimmel, Konzepte der Muße, 2016, Mohr Siebeck, s. 40
2 Jochen Gimmel, Konzepte der Muße, 2016, Mohr Siebeck, s. 40
3 Kriterien für das Flow-Erlebnis – nach Mihaly CSIKSZENTMIHALYI., Excerpt des Buches von Mihaly CSIKSZENTMIHALYI: „Flow, and the Making of Meanings“, 2003, Viking Verlag New York, Deutsche Ausgabe „Flow im Beruf“, eine Übersetzung nach Ulrike Stopfel aus dem US-Amerikanischen, 2004, Verlag Klett-Cotta, 2004, ISBN 3-608-93532-0, (10).
Eigene Ergänzungen aus Sicht der Informationswissenschaft von Franz Plochberger, s. 9
4 Ebd, s. 9
5 Ebd, s. 10
6 Ebd, s. 11
7 Ebd, s. 12
8 Ebd, s. 13