Flow und Üben und, ob das was mit Muße zu tun hat (Teil 2) (In Bearbeitung)

Mit eingelegter Sortierpause geht es nun weiter.
Meine Parameter habe ich angepasst. Wenn du wissen willst was ich mir zuvor vorgenommen hatte, sieh dir Teil 1 an.

Ich wollte wissen, ob ich mit festen Vorgaben täglich Lieder von System of a Down auf der Gitarre zu Üben, in Muße komme und die Aspekte des Flows anhand meiner eigenen Übepraxis untersuchen. Da der erste Versuch scheiterte und ich zwar ab und zu in Flow kam, allerdings selten etwas wie Muße erlebte und meist eher gestresst war schlussfolgerte ich daraus, dass ich die Parameter meines Experiments ändern sollte. Das habe ich getan und zwar wie folgt:

  • Es geht nun nicht mehr darum jeden Tag ein Lied zu üben, auch nicht innerhalb von zwei Tagen.
  • Meine Idee ist mir zunächst die Lieder die ich lernen will genau anzuhören. Außerdem die Tabs und eventuell Tutorials zu begutachten, um eine Idee zu bekommen wie hoch der Aufwand ist, bzw. wie schwer es mir fallen wird es zu lernen.
  • Daraus sollte sich dann eine ungefähre Zeitangabe für das Lernen des Liedes ergeben, die aber eher eine Prognose, als eine Vorgabe sein soll und auch im Laufe des Prozesses angepasst werden kann.

-> Somit habe ich ein Endziel, das Flexibel ist und mir fällt der Zeitdruck als Stressfaktor von meinen Schultern. Den Zeitdruck hatte ich im Versuch zuvor als einen der Experimentsprenger entlarvt, da er dazu führte, dass ich mich Grundsätzlich überfordert fühlte und schon bald Prokrastination und Unwohlsein dominierten.

Außerdem habe ich ganz ungeplant auch schon einen weiteren Faktor, der den Flow fördert mit berücksichtigt. Nämlich, dass ich mir erst mal einen Überblick über die Situation verschafft habe und nicht einfach ins blaue Lieder gewählt und Zeitangaben vorgegeben habe.

Tag 1

Das erste Lied in Teil 2 ist Highway Song

Ich habe also zunächst zwei Lieder in der engeren Auswahl gehabt und mir angesehen, wie viel Aufwand es wäre sie zu lernen, indem ich sie mir angehört hatte und die Tabs ansah. Ich prognostizierte 2 Tage für dieses hier.

Hier ein kleines Update von mir nach 15 Minuten Üben

Fazit meines ersten Übetages ist, dass ich Flow erlebt habe und außerdem einen Mußezustand erlebt habe. Ich habe mich wohl gefühlt und bin im spielen aufgegangen. Die Klänge, der Hall, die Obertöne, die die Gitarre sanft von sich gab, haben mich berieselt und mich in einen wohligen Zustand versetzt, den ich in dieser Form bisher nur von Musik kenne. Auch hat es angespornt sich immer wieder zu verspielen und dabei immer langsamer zu werden um dann wieder Fahrt aufzunehmen. Hier ein kleines Beispiel, wie das klingen kann…

Der Zustand der Muße ist geprägt von einer inneren Entspannung. Diese kann bei einer Tätigkeit oder auch beim Nichtstun entstehen. Wir merken es daran, dass wir ganz darin aufgehen. In der Entspannung sind wir anstrengungslos präsent, also gegenwärtig.

Nicole Stern, Das Muße-Prinzip, Arkana, 2016

Wenn wir Muße nun als das sehen, wie Nicole Stern es beschreibt, dann finden wir genau in diesen Momenten wie den meinem, die Überschneidung von Flow und Muße, denn was ich erlebt habe erfüllt die Kriterien für Flow und entspricht der Beschreibung von Muße, wie sie von Nicole Stern, als auch Ulrich Schnabel beschrieben wird. Als Tätigkeit in der man ganz aufgeht.

Es kommt zu einem Verschmelzen mit der Tätigkeit, Reflexivität und Selbst-Bewusstsein gehen verloren, man ist sich zwar seiner Handlungen bewusst, jedoch weder des Bewusstseins noch sozialer Evaluation und auch nicht seiner selbst; man wird gänzlich von der Tätigkeit absorbiert und verschmilzt mit dieser und der Welt.

“transcendence of individuality”, “fusion with the world”, Csikszentemihalyi, 1975, S. 42

Hierbei bin ich auf eine Fährte gestoßen, denn was Csikszentemihalyi sagt:

Externale Ziele oder Belohnungen sind nicht nötig, die Tätigkeit und das Flow-Erleben selbst sind das Ziel und als Belohnung ausreichend.

“transcendence of individuality”, “fusion with the world”, Csikszentemihalyi, 1975

hat mich eben total an Aristoteles erinnert, wenn er sagt

“Muße enthält dagegen, wie man glaubt,
Vergnügen, Glück und glückseliges Leben in sich selber;…”

Aristoteles Politik VIII

Ich denke worin sich Muße und Flow unterscheiden ist, dass Flow geprägt von freudige Konzentration ist, also in erster Linie nichtanstrengungslose Präsenz” vordergründig ist, die je nach Tätigkeit als eher empfangend oder selbst handelnd ist. Flow ist klar Aktivität, nicht Passiv, wie es Muße sein kann. Dennoch konnte ich beobachten, wie diese starke Fokussierung auf eine Tätigkeit fließende Übergänge in eine Anstrengungslose Präsenz ebnete. Immer dann wenn die Aufmerksamkeit weiter wird. Ich übe und wiederhole und dazwischen, habe ich durch die Wiederholung, Zeit zum abdriften. Ein bisschen wie die Pausen beim Psalme singen. Meine Aufmerksamkeit wandert von Konzentration auf die Technik des Spielens zum Hören und Aufnehmen und Fühlen und schwingt hin und her, nicht regelmäßig und nicht stetig und doch kontinuierlich.

Also ist Flow nicht gleich Muße und Muße nicht gleich Flow, doch ähneln sie sich sehr.

Viele Elemente sind gleich (ganz Aufgehen im Moment, Gegenwärtig sein, Losgelöst von den Erwartungen anderer und sich selbst, was zählt ist der Moment oder die Tätigkeit, die Tätigkeit ist in sich selbst erfüllend, die Zeit vergeht anders)

Und andere wiederum unterschiedlich (die zwar offene empfangende Präsenz und Fokussierung auf eine Sache, jedoch wird sie beim Flow als eine freudige Präsenz beschrieben und blendet Dinge aus, die nicht mit der Handlung zu tun haben, wohingegen bei der Muße von einer entspannten Präsenz die Rede ist, die viel offener und empfänglicher ist.

Muße kann auch Ziellos sein, wohingegen Flow mit einem Ziel einhergeht, auch wenn im Moment der Tätigkeit nur der gegenwärtige Handlungsschritt wichtig ist.

Auch glaube ich nicht, dass eine “optimale Balance zwischen Anforderungen und Fähigkeiten” bestehen muss um in Muße zu kommen. Da reicht es schon eher gar keine Anforderungen zu haben und nichts zu tun. Wobei dass dann vielleicht auch paradoxerweise eine Optimale Balance sein kann. Dennoch bietet Flow auch Raum für Muße, wie ich aus meinem Experiment berichten kann. )

Tag 2

nach kurzem Schlaf begann der Tag sehr ereignisreich, nach 11,5 Stunden kam ich in Hildesheim an. Kein Wunder, dass nicht viel Konzentration zum Üben übrig war. Allerdings bin ich erstaunt über die Freude. Ich wollte jetzt spät abends nochmal das Lied üben, nicht weil ich eine Aufgabe erfüllen wollte, sondern weil ich mich auf die Entspannung freute die dabei entsteht. Nach 10 min war die Puste raus, Kopf und Bauch tun weh und es wurde Zeit für passiveres. Bis dahin war es schön.

Hier merke ich, dass ich durch die veränderten Parameter nicht nur Raum für Flow geschaffen habe, sondern auch Raum für Muße. Ich hatte wieder Freude beim Gedanken ans Üben. Doch wenn der Körper schmerzt, dann ist auch das manchmal nicht das richtige.

Tag 3

Ich habe nicht geübt. Schon wieder so ein voller Tag, schon wieder sehr erschöpft und ich gönnte mir eine Doku. In diesem Moment war das mehr Mußeerlebnis.

Tag 4

Heute ist auch nicht viel passiert. Ich habe nochmal geübt, allerdings habe ich nicht so sehr reingefunden. Ich kann das gesamte Lied jetzt spielen, allerdings war keine große Motivation da noch ein weiteres Lied zu beginnen. Das hat mehr mit meiner Psyche zu tun, als mit den neuen Parametern. Wofür ich viel mehr Energie hatte, war mir noch mehr Gedanken über diesen Text und Flow und Muße zu machen. Und jetzt sitze ich hier und tippe schon seit über einer Stunde, feile und schleife. Suche jetzt noch ein paar Textstellen und beende pünktlich zum Abschluss des Projektsemesters heute mein Experiment. Ich werde weiter forschen, aber ganz für mich…

Fazit

Deutlich konnte ich merken, wie es mir geholfen hat, etwas geplanter an die Sache heranzugehen und die Lieder erst einmal genau anzuhören. Ich hatte viel mehr Überblick und wusste worauf ich mich einlasse. Ich konnte auch besser Einschätzen, ob die Aufgabe meinen Anforderungen entspricht. Zwar habe ich nicht die Investition in das Experiment gemacht, die ich mir gewünscht hatte, da persönliche Dinge dazwischen kamen und dadurch mehr Relevanz hatten, allerdings habe ich trotzdem einen Erkenntnisprozess in Gang gesetzt, den ich jetzt weiter beobachten werde. Und wer weiß, vielleicht kommt auch noch ein weiterer Blogartikel in den nächsten Woche zu diesem Experiment.

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