Muße und Resonanz

»Wenn immer wieder beobachtet wird, dass spätmoderne
Subjekte von sich aus dazu tendieren, alle (spontan) entstehenden zeitlichen
Freiräume mit neuen Verpflichtungen und Aktivitäten zuzustellen und
beispielsweise notorisch nach Fernbedienungen und Kommunikationsgeräten
greifen, sobald sie einen Moment mit sich alleine und entpflichtet sind, so
könnten sie damit unbewusst einer Logik folgen, welche die
Resonanzerwartungen panisch auf die Zukunft verschiebt: Solange wir damit
befasst sind, Aufgaben zu erledigen, To-do-Listen abzuarbeiten und Termine zu
erfüllen, sind stumme, verdinglichte Weltbeziehungen unvermeidlich und
gleichsam legitimiert – wir akzeptieren sie, um Ressourcen zu gewinnen und
zu sichern, die uns ›später‹, wenn wir zu dem kommen, was wir ›eigentlich‹
wollen und sind, helfen sollen, ein gutes Leben zu haben und mithin Resonanz
zu erfahren.
In diesem dominanten Alltagsmodus vertrauen wir darauf, dass unsere
eigene Stimme und die Stimme der Welt schon noch hörbar werden, wenn wir
nur erst die Zeit-Räume für diesen anderen Modus der Weltbeziehung finden.
Werden wir dann aber plötzlich und unerwartet in einen Zustand der Muße
versetzt, in dem wir uns selbst und der Welt ohne den Schutz und den Puffer
der Aufgaben und Optionen begegnen, ergreift uns die Panik davor, dass das
Schweigen anhalten könnte. Dann erst wird das ganze Ausmaß der
spätmodernen Weltverhältnissen innewohnenden existentiellen Entfremdung
spürbar.«

Hartmut Rosa: Resonanz (2016), S.327/328