MußIca

Wie meine psychische Instabilität mir oft keine andere Option lässt, außer müßig und erwartungslos zu sein.

Ich sitze hier in meinem Zimmer, bei meinen Eltern in Baden-Württemberg. Wie sich die letzte Stunde in diesem Zimmer mit mir darin abgespielt hat, hat mich dazu inspieriert diesen Text zu schreiben.

Heute war ein mega voller Tag. Ich bin total zerdätscht aufgewacht, nachdem ich mal wieder voller Sorgen und mit einen Gehirn, das es nicht sein lassen kann über die Zukunft nachzudenken, ins Bett ging. Ich hatte mich wieder recht einsam und gestresst gefühlt, als ich mich hinlegte und war, wie so oft in den letzten Monaten, recht schnell wieder in den selben Gedanken aufzufinden, als ich aufwachte. Da ich das ja mittlerweile ganz gut kenne, habe ich erst mal versucht, das wichtigste abzuhaken und die Kraft zusammen zu sammeln um aufs Klo zu gehen. Das war heute morgen meine Rettung, denn der Drang zu pinkeln ist wohl eines der wenigen Dinge, die den Unmut und die Antriebslosigkeit in solchen Momenten doch noch aufwiegen. Wäre heute nicht auch die Beerdigung meines Freundes gewesen, hätte ich mir vermutlich einfach erlaubt doch wieder einzuschlafen oder mich eben nicht überwinden können aufzustehen, trotz möglicherweise wichtiger Termine. Als ich dann aufgestanden war, war schon mal die erste Hürde überwunden. Nun war es wichtig, der Versuchung zu wiederstehen, nicht wieder einzuschlafen. Also, ein Glas Wasser…. heute ausnahmsweise sehr Körper-bedürfnisorientiert… und dann… Musik! (Das kommt seit Monaten manchmal sogar an erster Stelle, wenn ich die Augen öffne. Ich schnappe die Gitarre oder drehe die Anlage auf oder beides. Das ist so ein bisschen meine Rettung, damit stehe ich dann tatsächlich die letzten Wochen manchmal auch mit guter Laune auf und habe die Garantie nicht wieder einzuschlafen
Heute…System of a Down, ein Paar Lieder mitgebrüllt, dann noch das Lied für die Beerdigung geübt…

Und jetzt machen wir nen kleinen Zeitraffer:
Beerdigung, viele Menschen, viele Gefühle, Essen in der hektischen Stadt, Ulrich Schnabels Muße in der Buchhandlung holen (Am Laptop lesen pack ich nicht, das tut mir nicht gut…!), Gesteinsproben für meinen Papa holen, zu ner Freundin meiner Mama mitfahren und Tomatenpflanzen abholen, ne andere Freundin von meiner Mama mit-abholen, 10 Minuten alleine im Zimmer liegen, dann doch noch zum Drogerie Markt, wie eigentlich geplant, dann alleine ein Eis essen, dann am kleinen Bach sitzen und eine Zigarette rauchen, mich in mein, zum Zwecke der Reizerholung, abgedunkeltes Zimmer verkriechen und 20 Minuten mit etwas Herzrasen und vielen Gedanken in Embryonalstellung auf dem Sofa liegen und jetzt hier am Laptop sitzen und diesen Text schreiben, weil es sich jetzt richtig gut anfühlt und die Idee bei den vielen Gedanken mit auftaucht.

Auf dem Weg zur Beerdigung ging es mir gar nicht gut, aber meine Mama war zum Glück dabei und dann war schon ab der Beerdigung wieder etwas Stabilität in mir, natürlich hab ich geweint. Das ist ja auch normal und wichtig (wie ich finde), aber mir war immerhin nicht mehr Übel.
Die Gefühle der Überforderung haben dann erst wieder nach der Beerdigung immer mal wieder vorbeigeschaut, aber eben nur recht schwach… da so schwach, merkte ich erst auf dem Heimweg, wie fertig ich eigentlich wirklich war und es auch nicht wirklich besser werden konnte, umrundet von so vielen Reizen, also war dann zu Hause angekommen die einzige Option hinlegen… Alles andere was ich tun könnte fühlt sich in diesen Momenten an, als würde ich ne Panikattacke kriegen oder nen Herzanfall , wenn ich jetzt noch etwas tue.
Als ich dann vom Drogeriemarkt zurückkam hab ich noch mit diesem Überforderungsgefühl in mir versucht Grundbedürfnisse zu befriedigen und dachte auch an den Fluss, doch über all dort, wo ich meine Umgebung nicht richtig einschätzen (nicht, dass ich aktiv Angst hätte, aber mein Körper scheinbar schon, den stresst das enorm) kann und/oder ich zu vielen Reizen ausgesetzt bin geben mir in diesen Momenten nur bedingt die Chance zur Ruhe zu kommen. Recht viel Anspannung. Sprechen ist zu viel, hören ist zu viel, denken ist zu viel, alles ist zu viel. Alles Reduzieren, dann passts wieder.

Später beim Ansetzen zum schreiben habe ich erst einmal Musik an, merke dann recht schnell, beides zusammen geht nicht, es ist zu aufwühlend, entweder das eine oder das andere. Nur Musik hören geht in diesem spezifischen Moment nicht, da ich mir schon in den Kopf gesetzt habe einen Text zu schreiben und mich währrend des Musik hörens die Sorge plagen könnte, doch nicht zu einem Text zu kommen. Ich möchte die Gunst der Stunde nutzen und den Moment wählen, in dem es mir sogar gut tut und Freude bereitet diesen Text zu schreiben, also entscheide ich mich für den Text. Und auf diesen einen Text kann ich mich dann voll einlassen, es fühlt sich nicht wie Arbeit an und entspannt mich, da ich Zeit für mich habe, mich in etwas vertiefen kann und mit niemandem sprechen muss.
Und das nicht nur, weil es sich besser anfühlt, sondern auch weil es für mich anders kaum möglich ist. In solchen extremen Momenten kann ich mich nur auf eine Sache fokussieren oder eben so wenig Reizen wie möglich ausgesetzt sein und ausharren. Und Dinge zu erledigen, weil sie gemacht werden müssen, das löst in mir in vielen Momenten sehr starke Stressreaktionen aus. Das frustriert dann eher und wird meistens entweder nicht fertig oder ganz unordentlich und unfertig. Oft ist es sogar so, dass ich es aus Sorge so sehr aufschiebe, dass es gar nicht geschieht. Wenn wir Schnabels Muße Defintion nehmen: “Muße ist nicht auf das entspannte Nichtstun beschränkt, sondern kann uns in vielen Formen begegnen – in inspirierenden Gesprächen ebenso wie beim selbstvergessenen Spiel, beim Wandern oder Musizieren, ja selbst beim Arbeiten – kurz: in jenen Momenten, die ihren Wert in sich selbst tragen und die nicht der modernen Verwertungslogik unterworfen sind.” 1 Kann ich sagen, dass ich in den meisten Momenten der letzten Monate, sofern ich mein psychisches Wohlbefinden wahren will/kann, nur in der Lage bin Aufgaben zu verrichten, wenn sie sich nicht wie Aufgaben anfühlen, sondern wie Muße… und dann sind es schon keine Aufgaben mehr. Trotzdem behalten sie den Aufgabencharakterzug, dass sie mich stressen, wenn ich sie im voraus Plane, was wiederum gute Bedingungen für Muße schafft, wenn ich Muße als nicht herbeiführbar sehe. Deshalb Plane ich sie gerade nicht. Ich schaffe gute Bedingungen für die Muße, aber plane sie nicht, wie Stefan Schmidt 2 es vielleicht meint.


Deshalb bin ich quasi oft optionslos, wenn ich Dinge tun möchte, die nicht im Aktionsradius von 2 Stunden passieren sollen, selbst das ist in manchen Momenten schon zu weit in der Zukunft für mein Gemüt und wirft mich in eine Schockstarre. Und hier spreche ich nicht nur von Uni-Dingen, sondern von allem. Zum Beispiel auch den Ausbau meines Busses oder das tägliche Yoga, das wenn ich es zu lange weglasse, mein Leben schwer genießbar werden lässt, da meine chronischen Rückenschmerzen deutlich stärker werden.

Und trotzdem sind die Dinge, die ich tue um mich wohl zu fühlen oder die von mir erwartet werden (Rechnungen zahlen, Bürokratisches, Studienleistungen (auch die lassen mich mich manchmal wohlfühlen, haha)) erst dann für mich machbar, wenn ich so wenig wie möglich Plane und die Chancen nutze, wenn etwas aufploppt und es dann einfach tue. Dadurch bin ich, wenn ich möchte, dass es mir gut geht, gezwungen, immer wieder zurück zum Moment zu kommen und die Dinge Schritt für Schritt anzugehen und eben auch Erwartungen loszulassen und keine Versprechungen zu machen, da ich weiß, dass es gerade sehr wahrscheinlich ist, dass Dinge doch anders geschehen, als ich es mir in den Kopf gesetzt habe, gewünscht habe oder es jemand anderem versprochen habe.

Hätte ich mir jetzt vorgenommen einen Text über diese Thema zu schreiben kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es gar nicht passiert wäre oder mich eben unterschwellig tagelang gestresst hätte, dass ich mir das vorgenommen habe. Deshalb bemühe ich mich darum, so wenig wie möglich festzulegen was die nächste Zeit geschehen soll und keine Versprechen zu machen und eben alles zu streichen, was mich überfordert oder zu schauen, welche Unterstützung möglich ist, dass es mich nicht überfordert.

Ich bin da jetzt die letzten Wochen viel am Regler einstellen, habe viele Verantwortlichkeiten abgegeben und bin auch mittlerweile nicht mehr alleine damit und glaube auch, dass das Projektsemester mir gut tun kann und machbar ist. Und auch steht bis Anfang Juni offen, ob ich es überhaupt weiter mache. Jetzt im Moment bin ich guter Dinge, aber ich weiß aus Erfahrung, dass das keine Garantie ist, dass es in zwei Wochen noch immer so ist.
Ein tiefer Seufzer verlässt mich ganz unerwartet und entspannt mich, während ich das hier tippe…Ein gutes Zeichen….

Jetzt habe ich noch ein paar Zitate durchgelesen und eingefügt nachdem ich den letzten Satz geschrieben habe, schon klopft die Unruhe an. Das waren 10 Minuten zu viel, ohne Rast, also schnell den Laptop zu und… was auch immer, nichtstun, alles tun, nicht planen.

Update: Ich habe doch weiter gemacht und nochmal korrekturgelesen, weil ich es nicht lassen wollte und jetzt bin ich auch wieder entspannt und zufrieden.

Ich brauche dann eben gerade auch einen batzen Vetrauen darin, dass ich die Momente ergreife wichtiges und schönes für mich zu tun, wenn sie möglich sind. Ich übe mich dadurch darin mir nicht zu viel vorzunehmen und mit dem zu gehen was kommt und nicht mehr so große Sorge zu haben, dass Dinge nicht funktionieren, nur weil ich sie nicht fest Plane. Und eben auch zu vertrauen, dass ich überlebe auch ohne im klassischen Sinne zu “funktionieren”, was für mich u.a. bedeutet Termine einhalten zu können, Planen zu können, sein Leben alleine organisieren zu können… Je mehr ich loslasse und mich mitteile, desto mehr Unterstützung kommt seit dem auch und mein Leben funktioniert auf eine ganz merkwürdige, aber auch schöne Art und Weise. Mir geht es nämlich ja nicht nur schlecht, ich habe sehr viel Freude an sehr vielem und vieles ist eben deutlich müßamer als üblich.

Aber jetzt ist mal gut…. ich hatte doch schon veröffentlicht und jetzt doch noch ergänzt, thihihi


Ciao Cacao

* Update nach einigen Wochen. Mir geht es schon viel besser, habe viel Unterstützung erfahren.



Quellen und Verweise


1 Ulrich Schnabel: Muße, München 2010, S. 21

2 “Eine Eigenschaft der Muße ist, dass sie nicht intentional herbeizuführen ist. Man kann Muße nicht einfach einschalten. Möglich ist es jedoch, mußeförderliche Bedingungen zu schaffen.” hier: http://www.report-psychologie.de/fileadmin/user_upload/Thema_des_Monats/2016-02_Musse_-_Prof._Dr._Stefan_Schmidt.pdf

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