Nächtliche Wassermusik

Eigentlich war mein Wecker auf 06:30 gestellt, aber heute Morgen wurde ich schon vier Stunden früher wach, während draußen ein stabiler Regenguss herrschte. Es war aber nicht das laute Prasseln der Regentropfen an meinen beiden Fenstern, welches mich aus dem Schlaf holte, sondern die leichten nassen Spränkler auf meinem Gesicht. Wie kam das denn? Leicht verdutzt fuhr ich mit der Hand über die Fensterbank und merkte, dass diese, ebenso wie das Kopfende meines Bettes schon recht feucht war und es lag nicht an einem nächtlichen Schweißausbruch durch die warmen Sommernächte. Nein, diese Tropfen kamen Stück für Stück den langen Weg von der Altbaudecke zu meinem Kopf hinunter. Wie sich im Nachhinein herausstellte, hat die behelfsmäßige Abdeckplane der Dacharbeiten an unserem Haus sich vor dem Regenguss ergeben und all das Wasser in unser Heim gelassen.

Nun mussten schnell Entscheidungen getroffen werden. Es wurden Handtücher und Badvorleger hervorgekramt um das schon stehende Wasser aufzusaugen, doch ich ahnte früh, dass durch die immer mehr werdenden Tropfen sich diese Tätigkeit zu einer Sisyphusarbeit entwickelte. Also wurden die ersten Gefäße gesammelt und das musikalische Spiel begann.

Erst trat der große graue Putzeimer aus dem Badezimmer auf die Bühne um die dicken Tropfen der Mitte in tiefe Klänge zu verwandelte. Gleich darauf tat sich schon der nächste Riss in der Decke auf und der Sopran des vierstimmigen Tupperquartetts wurde jubelnd empfangen. Seine drei Begleiter*innen kamen direkt hinterher. Besonderes Augenmerk bekam der blecherne solistische Klang der alten Kaffeedose am linken Bühnenrand.

Das Ensemble im Morgengrauen

Während ich nun meine Schlafposition um 180 Grad änderte und nasse Füße einem nassen Kopf vorzog, wurde mir schnell klar, dass mit den immer neuen Tropfen an nächtliche Ruhe, geschweige denn Schlaf nicht mehr so richtig zu denken war.

So wurde mir in den nachfolgenden dreieinhalb Stunden unverhofft ein feuchtfröhliches polyrhythmisches Tropfenkonzert geboten, welches ich so gleich versuchte für die Ewigkeit zu erhalten.

Zu Beginn kündigte sich das große Spektakel mit kleinen Klängen an.

Besonders gefallen hat mir der Hauptteil, in welchem sich aus dem einen Riss der Decke das Wasser nicht in Tropfenform, sondern (mit gemäßem Abstand) in Rinnsalen von der Decke bewegte. Ich hoffe, dies lässt sich am folgenden Beispiel erahnen.

Mit nachlassendem Regen wurde auch die Musik wieder langsamer und ruhiger.

Ich glaube in dieser Nacht kam mit der Feuchtigkeit auch die Muße durch die Decke.

Leider konnte ich dem Konzert nicht ganz zu Ende lauschen, weil, wie so oft in der Zuschauermenge, ein Handy klingelte und mich daran erinnerte, dass es Zeit für Frühstück war und sich auf den Weg zur Arbeit zu machen.