Über Zwölftonmusik und Muße

Als ich versuchte an eine von Regeln abweichende Form der Komposition in der klassischen Musik zu denken, musste ich an die Zwölftonmusik denken. Die Zwölftonmusik ist eine um 1920 hauptsächlich von Arnold Schönberg geprägte Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen. Dieses Ordnungsprinzip geht gegen die Regeln der Tonalität, sprich, gegen das System hierarchischer Tonhöhenbeziehungen, die auf einen Grundton, beziehungsweise eine Tonika bezogen sind. Das macht dieses Ordnungsprinzip zu einer sich keinen spezifischen Regeln unterworfenen, freien Tonalität, welche dann als Atonalität bezeichnet wird. Diese zeichnet sich durch nicht harmonisch wirkende Passagen in einem Musikstück aus. Während ein „normales“ klassisches Stück solche nicht harmonischen Passagen zwar aufweisen kann, es dann jedoch wieder in die harmonisch klingenden Passagen zurückkehrt, basiert die Zwölftonmusik auf dieser Nicht-Harmonität. 

Weil sich diese Kompositionsmethode im Kern gegen die in der klassischen Musik strikten Regeln der Tonalität und Harmonie wendet, habe ich mich gefragt, inwiefern diese dann als eine Loslösung von den der klassischen Musik unterliegenden, aufgezwungenen Strukturen, verstanden werden kann und diese somit freier und auch mußischer macht, was ihre Komposition angeht. 

Adorno’s Sicht lieferte mir den perfekten Einblick. Während er sich in einer Schrift zur Zwölftonmusik zu Schönbergs Schritt zur Atonalität äußert, lässt sich das eigentlich Paradox einer solchen vermeintlichen Befreiung erkennen: Er spricht einerseits davon, dass er diese als „Befreiung der Musik vom Zwang der Tonalität“ sieht und somit als eine „ungehinderte Entfaltung des musikalischen Ausdrucks mit dem vollen Trieblebend der Klänge”. Andererseits wendet er sich gegen diese, argumentierend, dass er in dieser die Gefahr eines zu mechanisch ablaufenden Komponierens erkennt. Während sich diese Methode also einerseits befreit, legt sie sich gleichermaßen wieder in Ketten. Mein Urteil = Anti-Mußisch.

Aber wird nicht jede Forderung nach freiem Musizieren mit dem Wunsch sich von aufgezwungenen Strukturen und dem Drang nach Perfektion loszulösen, gleichzeitig wieder zu einer anderen, aufgezwungenen Struktur und zwar zur der des „nicht-benutzens“ von jeglichen Strukturen? Muße kann nicht als Synonym zur Freiheit verstanden werden, denke ich, weil diese, wenn auch loslösend von bestimmten Zwängen, dennoch Voraussetzungen zu haben scheint.

Eine andere Frage, die mir vor diesem Hintergrund interessant vorkam, war folgende: Wenn man noch mehr als die Zwölftonmusik versucht Musik zu machen, ohne sich jeglichen Methodiken zu widmen, sprich, einfach nur Klänge zu produzieren, wie wir es bereits im Rahmen dieses Projekts taten- ist dann durch das Aufgeben einer sinnhaften musikalische Formensprache und durch den Wegfall einer sinnstiftenden Tonalität, die Wahrnehmung einer solchen Klang-Erzeugung genauso mußisch wie die Produktion derselben? ….ich denke nicht. Und dies wiederum führt auf den Aspekt der ästhetischen Wahrnehmung  zurück. Weil eine mußische Produktion sich gerade nicht danach richtet unbedingt etwas zu kreieren, was den klassischen Regeln des Schönen entspricht, ist auch die Wahrnehmung des Resultats der Muße-Arbeit keine, die unbedingt als schön bezeichnet werden kann. Schön, im Zusammenhang mit mußischer Produktion von Musik, ist mehr das Gefühl freier zu sein, wenn man sie kreiert, als Synonym zu angenehm und wohltuend. Schön ist jedoch nicht, im Zusammenhang mit mußischer Produktion von Musik unbedingt die Wahrnehmung dessen, was herauskommt, weil eben die angenehme Komposition nicht auf die angenehme Rezeption ausgerichtet ist.  

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